Psychische Erkrankungen bei älteren Menschen
Psychische Probleme und Erkrankungen treten im Alter genauso
auf wie in jungen Jahren. Neue Studien belegen, dass rund jeder Fünfte über 65 in irgendeiner Weise
davon betroffen ist. Und doch wird dies nur selten erkannt und noch seltener
fachgerecht behandelt.
Das liegt zum Teil daran, dass ältere Menschen sich häufig
scheuen mit einem Arzt oder mit ihren Angehörigen über solche Themen zu
sprechen. Sie befürchten, nicht ernst genommen oder womöglich als „verrückt"
erklärt zu werden. Die Erziehung dieser Generation verhindert oft über „so
etwas" zu reden und viele haben noch gelernt, dass jeder mit seinen Problemen
allein fertig werden muss. Dies führt dazu, dass ältere Patienten vor allem körperliche
Beschwerden schildern und sich nur selten zu psychischen oder sozialen
Schwierigkeiten äußern.
Zudem ist es für
Ärzte oft auch sehr schwierig, die Symptome einer psychischen Störung von
normalen Alterserscheinungen oder körperlichen Erkrankungen abzugrenzen.
Beispielsweise können Schlafstörungen oder Schwindelgefühle sowohl körperliche
als auch seelische Ursachen haben. Daher konzentrieren sich viele Ärzte in
erster Linie auf die körperlichen Beschwerden und ziehen psychische
Erkrankungen meist erst dann in Betracht, wenn trotz sorgfältiger und
umfangreicher Untersuchungen keine körperliche Ursache gefunden werden kann,
bzw. sich das Befinden des Patienten trotz Behandlung und Medikamenten nicht
verbessert.
Dabei sind gerade
Senioren oft großen psychischen
Belastungen ausgesetzt, die für diesen Lebensabschnitt typisch sind und die
sie bewältigen müssen : Krankheiten oder Tod des Lebenspartners und von
Freunden, Einsamkeit, häufig eine geringe Rente und damit Existenzängste,
eigene schwere Erkrankungen und zunehmende Pflegebedürftigkeit, chronische Schmerzen,
nachlassende körperliche und geistige Fähigkeiten.
Aber auch Kinder, die
ausziehen und dann oft weit entfernt wohnen, sowie häufig der Umzug in eine andere,
kleinere Wohnung oder in ein Seniorenheim, sind alles Dinge, mit denen man erst
einmal zurechtkommen muss. Zudem wird der Austritt aus dem Berufsleben nicht
immer als positiv empfunden, oft fallen damit soziale Kontakte weg. Insgesamt
fehlen Aufgaben, Zukunftspläne und Ziele. Für viele hat das Leben seinen Sinn
verloren und das Alter erscheint nur noch als ein Warten auf den Tod.
Aus dieser ganzen Thematik heraus hat sich in den letzten
Jahren eine eigene medizinische Fachrichtung entwickelt : die Gerontopsychiatrie und - Psychotherapie.
Ihr Ziel ist das Erhalten, bzw. das Wiedererlangen der seelischen Gesundheit,
damit Senioren möglichst lange aktiv und selbstbestimmt ihr Leben gestalten
können.
Die häufigsten psychischen Erkrankungen im Alter sind Verhaltensstörungen,
Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen,
Angststörungen, sowie Alkoholsucht und Medikamentenabhängigkeit.
Verhaltensauffälligkeiten wird zuerst meist wenig Beachtung geschenkt. Das oft „grantige" Verhalten wird
mit dem zunehmenden Alter des Patienten entschuldigt und als „normal" abgetan. Aber
plötzliche Aggressivität und Wut, schnelle Stimmungswechsel, Schimpfen,
Schreien, Misstrauen, Feindseligkeit und nächtliche Unruhe können auf eine
beginnende Demenz hinweisen.
Diese Verhaltensauffälligkeiten zeigen sich oft schon zwei
oder drei Jahre, bevor dann die Diagnose
„Demenz" gestellt wird. Umso wichtiger ist es, diese Anzeichen rechtzeitig
zu erkennen, damit möglichst bald eine adäquate Behandlung eingeleitet werden
kann. Meist sind es der Ehepartner oder die Kinder, die merken, dass sich der
Betroffene stark verändert, während demjenigen selbst jegliche Einsicht fehlt.
Deshalb sollten die Angehörigen das Gespräch mit dem Hausarzt suchen und mit
ihm gemeinsam versuchen, den Betroffenen von den nötigen Untersuchungen und
Tests zu überzeugen. Denn gerade diese Verhaltensauffälligkeiten belasten die
Familie oft mehr als der geistige Verfall des Erkrankten. Zwar ist eine Demenz
nach dem heutigen Stand der Medizin nicht heilbar, aber die Symptome können mit
der richtigen Therapie durchaus gemindert und teils behoben werden.
Altersdepressionen sind auf den ersten Blick kaum erkennbar. Oft verbergen sie sich hinter
körperlichen Beschwerden wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit,
Kraftlosigkeit, Schmerzen, Erschöpfung, Kreislaufbeschwerden, Übelkeit oder
Schwindel. Psychische Anzeichen , wie Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug, Freudlosigkeit,
Ängste, Gereiztheit, gefühlte
Sinnlosigkeit und die gedrückte Stimmungslage werden oft als „Konsequenz" des
körperlichen Befindens angesehen. Und doch ist es nicht selten umgekehrt : eine
kranke Seele verursacht die körperlichen Symptome !
Neben den anfangs beschriebenen besonderen Belastungen denen
ältere Menschen oft ausgesetzt sind, können auch bestimmte Medikamente und
Krankheiten eine Depression auslösen oder zumindest begünstigen.
Oft ist es schwierig eine „normale" Trauerreaktion, ausgelöst durch den Tod des Lebenspartners, von
einer Depression abzugrenzen. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass ein
Mensch, trotz Trauer, zumindest zeitweise ablenkbar ist, hin und wieder auch
Freude und Trost empfindet und nach einiger Zeit wieder die Gesellschaft
anderer sucht. Ein guter Anhaltspunkt ist auch das sogenannte „Trauerjahr". Dies
ist zwar kein fester Maßstab, aber doch ein Orientierungspunkt. Dauert die
Trauer allerdings an und verstärken sich die Symptome , kann aus einer
Trauerreaktion auch eine Depression geworden sein.
Eine Altersdepression ist keine harmlose Krankheit, die von
selbst wieder verschwindet.
So kann beispielsweise die Appetitlosigkeit zum Problem werden. Das Essen schmeckt nicht mehr
und die Antriebslosigkeit sorgt dafür, dass die Erkrankten sich nicht mehr
aufraffen können einkaufen zu gehen oder zu kochen. Die Folge sind oft Mangelerscheinungen und das zu niedrige
Körpergewicht führt zu Infektanfälligkeit, sowie zu Schwäche und begünstigt so Stürze und Knochenbrüche.
Viele ältere Menschen, die an einer Depression leiden, sind
auch stark suizidgefährdet. 40 %
aller Selbsttötungen werden von Menschen über sechzig
begangen.
Besonders betroffen sind vor allem Männer über 75, - das
Risiko einer Selbsttötung ist drei Mal so hoch, wie in anderen Altersgruppen.
Dies mag daran liegen, dass Männer mit dem Tod ihrer Partnerin schlechter
zurechtkommen als Frauen und dass es ihnen oft sehr schwer fällt, über ihre
Gefühle und Probleme mit anderen offen zu sprechen. Zudem ist ihr soziales Netz
oft nicht so stabil und sie sind stärker mit Einsamkeit konfrontiert.
Statistisch werden nur die aktiven Selbsttötungen erfasst.
Doch bei vielen alten Menschen gibt es auch den „stillen" Suizid : Sie nehmen ihre Medikamente nicht mehr und
verweigern die Nahrungsaufnahme oder Getränke. Dies stellt auch pflegende
Angehörige und Pflegekräfte in Seniorenheimen vor große Probleme.
Schlimmstenfalls kann eine depressive
Erkrankung also auch tödlich enden.
Bei Menschen, die die Zeit des 2. Weltkriegs miterleben
mussten, diagnostizieren Ärzte mitunter erst heute - also Jahrzehnte später -
Merkmale einer posttraumatischen
Belastungsstörung (= PTBS ) . Ursache dieser Störung ist immer ein extrem
belastendes und außergewöhnliches Geschehen und die Betroffenen erleben das
Trauma in Gedanken oder Gefühlen immer wieder. Mitunter sind aber gar keine
bewussten Erinnerungen oder Bilder an das damalige Geschehen vorhanden, weil
die Betroffenen noch zu jung waren oder alles über eine lange Zeit verdrängt
wurde.
Die ständige Angst vor Bombenangriffen, der Verlust von
Angehörigen und Freunden, Gefangenschaft, Vertreibung, Zwangsarbeit,
Vergewaltigungen und Schreckensbilder von Kampfhandlungen haben sich fest in
die Seele eingebrannt. Im Alter können diese Erinnerungen wieder hervortreten, vor allem wenn sie mit Scham -
und Schuldgefühlen einhergehen und die daraus resultierende Hilflosigkeit und
Ohnmacht noch nicht verarbeitet wurde. So leiden die Betroffenen noch - und
manche erst heute - unter Schlafstörungen, Ängsten, Panikattacken und
Alpträumen. Oft genügt schon ein geringer äußerer Reiz, wie das Heulen einer
Feuerwehrsirene, und sie verspüren ganz plötzlich die gleiche Angst und
Hilflosigkeit, die sie damals in der traumatischen Situation erlebt haben.
Trotzdem wollen viele ältere Menschen noch heute nicht über
ihre damaligen Erlebnisse sprechen, weil sie befürchten alles wieder
aufzurühren oder weil sie sich selbst Vorwürfe machen, was sie damals getan,
bzw. nicht verhindert haben.
Sehr viele ältere Menschen leiden an einer ( generalisierten
) Angststörung. Die Ängste beziehen
sich meistens nicht auf ein bestimmtes Objekt , sondern sind situationsübergreifend und in
irgendeiner Weise stets spürbar -
und verhindern so jegliche Lebensfreude.
Der Alltag erscheint immer schwerer zu bewältigen und selbst
kleinste Anforderungen, mit denen man früher spielend fertig wurde, werden nun zum großen Problem. Selbst ganz normale
Aufgaben können schnell zur Überforderung führen und Angst und Sorgen auslösen.
Wobei es dafür oft gar keinen konkreten Anlass gibt : viele Senioren verlassen
z.B. nur noch ungern ihr Zuhause, weil
sie sich einfach irgendwie unsicher fühlen.
Zum einen drehen sich
die Gedanken ständig um das Wohlergehen und die Zukunft der Kinder und Enkel,
zum anderen auch um die eigene Lebenssituation und die Frage, wie sich die letzten Lebensjahre gestalten werden.
Zudem stellen sich belastende Fragen, auf die es so einfach keine Antwort
gibt : wie lange wird man noch
eigenständig und ohne fremde Hilfe leben können oder wird man zum Pflegefall,- muss
man dann womöglich den Kindern ( auch finanziell ) zur Last fallen, wie und wo
wird man sterben- allein oder im Kreis der Familie -, wird man eine lange
Leidenszeit haben und womöglich sogar Schmerzen ertragen müssen ?
Die Sorgen betreffen
aber auch den Lebenspartner : wie lange kann man ihn / sie notfalls
pflegen, wird man im Alter vielleicht sogar noch getrennt, weil einer von
beiden in ein Pflegeheim muss ? Aber auch: wie kann man weiterleben, wenn der
geliebte Partner stirbt und wie dann die Einsamkeit ertragen ? Ist man überhaupt in der Lage den Alltag
allein zu bestreiten ? Eine jahrelange, strikte Rollenverteilung hat in
vielen Ehen leider dazu geführt, dass der einzelne in bestimmten Lebensbereichen
sehr unselbständig ist.
Diese Ängste und Sorgen beeinträchtigen die Lebensqualität
sehr stark, weil sie ständig vorhanden sind und sie führen oft zu einer
Vielzahl körperlicher Beschwerden und Schmerzzuständen.
In den letzten Jahren hat die Alkoholabhängigkeit bei Senioren stark zugenommen. Dennoch stößt
dieses Thema in der Öffentlichkeit kaum auf Beachtung. Das mag daran liegen,
dass ältere Menschen im Gegensatz zu anderen Altersgruppen nicht auffällig
trinken und nicht zu Exzessen neigen. Vor allem aber ist Alkoholabhängigkeit
bei Senioren ein Tabuthema, zu dem
Betroffene und ihre Angehörigen schweigen.
Nach Erhebungen einer großen Krankenkasse trinkt rund ein Drittel aller über 65jährigen
regelmäßig zu viel Alkohol. Schließlich gehört der Konsum von Wein und Bier in
Deutschland zum gesellschaftlichen und sozialen Alltag, zählt als Genuss und
wird oft sogar als gesundheitsförderlich angesehen. Doch wie bei vielen Dingen
: die Menge macht das Gift!
Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass die Alkoholverträglichkeit mit zunehmendem Alter abnimmt, d.h. der
Körper baut Alkohol langsamer ab. Zum anderen nehmen die meisten Senioren
regelmäßig Medikamente, bei denen es
in Verbindung mit Alkohol zu gefährlichen Wechselwirkungen kommen kann. Außerdem vermindert Alkohol das Reaktionsvermögen und die
Koordination, was das Risiko von Stürzen erhöht und häufig schwere Verletzungen
oder Knochenbrüche nach sich zieht. So mancher Unfall älterer Menschen ist leider auf übermäßigen Alkoholkonsum
zurückzuführen.
Die Gründe für den Griff zur Flasche liegen auf der Hand :
Langeweile, Ärger, Schmerzen, Einsamkeit, Schlafstörungen, Trauer - und als „Tröster und Helfer" stehen dann Bier, Wein oder Likör zur
Verfügung.
Während Männer oft zu viel Alkohol trinken, nehmen Frauen
häufig zu viele Schmerz, - Schlaf,- und Beruhigungsmittel ein. Da
im Alter die Leistungsfähigkeit von Niere und Leber abnimmt, kann es schnell zu
Überdosierungen kommen. Die Folge
können motorische Probleme, Orientierungsstörungen sowie Sprach-und
Gedächtnisstörungen sein.
Die Behandlung psychischer Erkrankungen älterer Menschen
erfolgt mittels Medikamenten und Psychotherapie.
Der Einsatz von Psychopharmaka ist gerade hier oft nicht
einfach. Viele nehmen bereits eine Vielzahl von Medikamenten ein, d.h.
Wechselwirkungen müssen beachtet und das passende Präparat und dessen Dosierung
erst einmal gefunden werden. Vor allem eventuelle Nebenwirkungen können das
Befinden älterer Patienten massiv verschlechtern.
Selbst Fachleute standen noch vor wenigen Jahren der
psychotherapeutischen Behandlung älterer Menschen etwas skeptisch gegenüber.
Oft war man der Meinung, Therapie bei über Siebzigjährigen wäre nutz-und
sinnlos. Dies hat sich zum Glück geändert. Je nach Schweregrad findet die
Behandlung stationär ( geriatrische Abteilungen ) oder auch ambulant statt.
Die angewandten Methoden unterscheiden sich dabei nicht
wesentlich von der Therapie jüngerer Patienten. Die einzelnen Sitzungen sind
allerdings mehr gesprächsorientiert und
oft einfacher strukturiert, um Menschen, die bereits körperliche oder kognitive
Einschränkungen haben, nicht zu überfordern. Gerade bei älteren Menschen ist es
wichtig, dass die „Chemie" zwischen ihnen und dem Therapeuten stimmt, um
Hemmungen und Schamgefühle ablegen zu können.
Das Ziel einer Psychotherapie im Alter besteht darin, dass
der Patient seine persönliche Vergangenheit annehmen kann, vor allem aber in
der Bewältigung seiner aktuellen
Probleme , sowie der Verminderung
von ( Alltags- ) Belastungen . Welche Veränderungen sind machbar und über
welche Ressourcen verfügt der Betroffene ?
Neben den eigentlichen psychotherapeutischen Maßnahmen ist
es oft notwendig, auch andere Unterstützungsmaßnahmen zu planen und in die Wege zu leiten : Besuche bei Fachärzten, Hilfe im Haushalt
oder Betreuung durch soziale Dienste und Einrichtungen. Dies erfordert auch die
Mithilfe und Zusammenarbeit von Hausärzten und Angehörigen.
Gerade Freunde und
Angehörige, aber auch Pflegekräfte,
nehmen eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung und Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Meist sind sie
die ersten, die merken, wenn sich jemand verändert. Deshalb sollten sie die
Symptome ernst nehmen, nicht bagatellisieren , den Betroffenen vorsichtig
darauf ansprechen und ihn bei der Suche nach professioneller Hilfe unterstützen.
Auch Senioren mit einer psychischen Erkrankung haben ein
Recht darauf ernst genommen und richtig
behandelt zu werden. „ Alt sein" darf
nicht bedeuten, auf Lebensqualität und Lebensfreude verzichten zu müssen !